Ist konsequentes, rigoroses «Durch-Impfen» gemäss Schweizer Impfplan im Säuglingsalter unerlässlich, oder gibt es Spielraum bei den Impfterminen? Wir haben zwei Ärzte gebeten, zu diesem kontroversen Thema Stellung zu nehmen.
Impfen, ja - aber wann?
Die Fragestellung, wie genau ein Kind in seinen ersten beiden Lebensjahren dem offiziellen Impfprogramm entsprechend mit mehreren Impfdosen gegen eine Vielzahl von Krankheiten geschützt werden soll, bietet viel Diskussionsstoff. Bereits werdende Eltern müssen sich daher mit dem Thema Schutzimpfungen auseinandersetzen. Wir haben mit zwei Medizinern gesprochen und ihre Meinungen eingeholt.
Fakten und Zahlen für ein konsequentes Impfprogramm
Dr. med. Rolf Solèr ist als Arzt für Kinder- und Jugendmedizin FMH in der MediX Gruppenpraxis in Zürich tätig. Er weist auf die trotz eindeutigen wissenschaftlichen Befunden widersprüchlichen Informationen zum Thema Impfen hin und empfiehlt deshalb bei dieser, wie er sagt «Glaubensfrage», eine sachliche Orientierung nach Daten- und Faktenlage.
«In den letzten zwei Jahrzehnten sind als Folge der Impfungen schwere Krankheiten verschwunden, so etwa die meisten Hirnhautentzündungen bei Kleinkindern. In den ersten beiden Lebensjahren des Kindes sind die Grundimpfungen Starrkrampf, Diphterie, Keuchhusten, Kinderlähmung und Hämophilus vorgesehen. Dazu kommen ergänzend die Pneumokokken- und die Meningokokken Typ C-Impfung. Die erwähnte Grundimmunisierung - die auch weltweiten Richtlinien entspricht - halte ich für wichtig, obwohl einzelne Erkrankungen dank des Impfschutzes bei uns heute kaum mehr auftreten. Dass wir im November 2012 in Zürich in den Schulen eine Keuchhusten-Epidemie hatten, zeigt jedoch, dass Impfungen und Nachimpfungen nicht zu Vernachlässigen sind.»
Rolf Solèr empfiehlt auch im Bereich von Masern, Mumps und Röteln die Schutzimpfung: «In der Mehrzahl der Fälle verläuft eine Masernerkrankung harmlos. Doch ein Fünftel der erkrankten Kinder braucht während mehrerer Tage Spitalpflege. Und eines von tausend Kindern leidet in der Folge unter Hörstörungen oder sogar unter neurologischen Störungen wenn die Masern ausbrechen.» Doch, was ist mit den Impfschäden, von denen häufig die Rede ist? «Wenn man allen diesen Theorien Fakten und Zahlen gegenüberstellt, lösen sie sich in Nichts auf.» Der Impfentscheid, so Dr. Solèr, ist im Übrigen auch ein Akt der Solidarität: Schütze ich mein Kind, schütze ich gleichzeitig auch andere Kinder.
3 Impftermine in den ersten 6 Monaten - oder besser nur 2?
Der Berner Hausarzt Dr. med. Peter Klein gehört der Arbeitsgruppe für differenziertes Impfen an. «Diskussionen rund ums Thema Impfungen gibt es seit gut 200 Jahren, seit der ersten Pockenimpfung. Mir persönlich ist es einfach nicht möglich, die offizielle Impfempfehlung als quasi allein selig machend zu akzeptieren. Es gibt respektable Gründe, im Einzelfall zu einer anderen Beurteilung als derjenigen der Impfexperten des Bundesamtes für Gesundheit zu kommen.» Gemeint ist damit die Verteilung der Impftermine über die Lebensmonate des Säuglings. Es gehe, so Dr. Klein, um eine heikle Abwägung. Eltern die sich auf diese Abwägung einlassen, solle man achten und unterstützen.
Wie die meisten Entscheidungen im Leben sei auch die Impffrage ambivalent. Dem offiziellen Impfprogramm setzt Peter Klein folgende Überlegung entgegen: «Wenn man sich in Europa umschaut, stellt man verwundert fest, dass vor allem die skandinavischen Länder, aber auch Frankreich und Italien bezüglich der Grundimpfungen mit zwei Impfterminen im Säuglingsalter auskommen, und zwar im dritten und fünften Monat. Der dritte Termin ist zwischen 12 und 18 Monaten angesetzt. Der Schweizer Impfplan sieht aber in den ersten sechs Lebensmonaten drei Impftermine vor, obschon es offensichtlich auch mit weniger ginge.»
Viele Eltern stellten sich darum die berechtigte Frage, warum ihrem Kind schon in den allerersten Lebensmonaten derart viele Impfungen zugemutet werden sollen. Das Säuglingsalter sei eine fragile Lebensphase, das Immunsystem müsse seine Reaktionswege in der von der Natur vorgesehenen Reihenfolge und zur rechten Zeit trainieren können.
«Unter diesem Gesichtspunkt betrachtet kommen die Impfungen im Säuglingsalter klar zu früh.», so Peter Klein. Demgegenüber sei aber zu bedenken, dass drei der empfohlenen Impfungen sich gegen Krankheiten richteten, welche im Säuglingsalter öfter als im späteren Leben zu Komplikationen führten: Keuchhusten, Hämophilus-B und Pneumokokken.